Kommunikationsformen
Lokalradios
"Die intellektuelle, künstlerische, wissenschaftliche
Meinungsfreiheit und die Pressefreiheit werden frei von Zensur
oder Genehmigung garantiert."
Also hat jeder Bürger das Recht, sich auszutauschen - auch
der Stadtbürger. Denn es handelt sich hier um ein Grundrecht
wie Atmen, Denken, Leben.
Warum sind Lokalradios für die Favelados so wichtig?
Der Umkehrschluss von Analphabetismus, schlechter bis keiner
Schulausbildung, Isolation haben audio/visuelle Medien mehr
Gewicht. Der Stellenwert von Musik (das visuelle Pendant dazu
wäre die Telenovela) ist in Brasilien ein ganz anderer als
in Europa. Medien transportieren Politik. Medien machen
Politik.
Ausbildungsniveau in
Brasilien, 2002
1.-4. Grad vollendet |
37,5 % |
5.-8. Grad vollendet |
22,4 % |
Universitäts-
abschluss |
1 |
Kommerzielle Radios berichten über das Weltgeschehen;
Lokalradios gehen eher auf ihr direktes Umfeld ein und
integrieren die Ideen und Belange der Bürger.
„Das kommerzielle Radio debattiert nicht den Wassermangel
in Deiner Straße, das Licht, das mehr aus als an ist, die
Situation in der Schule, in die Du Deine Kinder schickst und auch
nicht den Missbrauch der lokalen Behörden. In diesen Sendern
ist weder die Mitarbeit der Bewohner noch die Thematisierung
derselben vorgesehen.“
Inhalte der Lokalradios
interne Nachrichten |
52,6 % |
andere Musik als im Kommerziellen |
23,9 % |
Künstler aus der Favela treten auf |
10,9 % |
uneingeschränkte Mitarbeit |
10,0 % |
Während der Diktatur ist der Betrieb klandestiner
Radiostationen durch das Decreto 236 verboten; in den Achtziger
Jahren hat sich diese Lage entschärft.
Zwar tauchen Sendelizenzen ab 1998 allmählich auf (Gesetz
9.612), die Unverschämtheit aber besteht in der Unterteilung
von Radios in erste und zweite Klassen: die Kommerziellen und die
‚Schwachen’ - beschränkt auf 25 Watt und eine
Reichweite von 1 km -, eben die Lokalradios.
Alle 25Watt-Radios müssen auf der Frequenz 87,9 MHz senden,
so kommt es zu Interferenzen, sprich zur Zensur von Information
zweiter Klasse. Im Falle von Interferenz zwischen einem
kommerziellen und einem schwachen Radio hat das Lokalradio zu
schließen; es hat abzuschalten. Kommerziellen Radios
erhalten ihre Lizenz für zehn Jahre; 25Watt-Radios nur
für drei.
Mit der Zensur Stufe zwei sollte angeblich vor allem Ordnung
geschaffen werden. Deshalb mussten alle Lokalradios erst einmal
schließen, um sich dann offiziell wieder anmelden zu
dürfen.
ANATEL hat zwischen 1998 und 2002 über 6.400
Lokalradios geschlossen. Unter der Regierung Lula wurden allein
im Jahr 2003 in Brasilien 2.759 Radios in Brasilien dicht
gemacht.
Das Ministerium ist den zahlreichen Neuanfragen der Kommunen
auf Radiolizenzen nicht gewachsen; fast jede Favela in Rio de
Janeiro hat einen Sender, manche sogar mehrere. Als Konsequenz
machen sich Frustration, Unzufriedenheit und Revolte breit.
In einem Forderungskatalog wurde verlangt:
eine permanente Beratungsstelle für Lokalradios im
Ministerium;
- eine erneute Änderung des Gesetzes 9.612 mit ersatzloser
Streichung des Artikels 6 über die
Flächenbeschränkung;
- Freihaltung dreier Lokalradio-Frequenzen pro Region;
- Verstärkung von 25 Watt auf mindestens 250 Watt;
- Erlaubnis für ‚kleine’ Geschäfte der
Nachbarschaft im Radio zu werben.
Verschiedene Organisationen wie zum Beispiel
‚VivaRio’ und ‚Rede Viva Favela’ fordern
vielfältigere Zugangsmöglichkeiten zur Ausbildung
für Radiointeressierte.
Denn eins steht fest: Die Bewohner setzen sich für ihr Radio
ein; sie kämpfen dafür! Sie trotzen Verlusten und
Rückschlägen, lassen sich nicht unterkriegen, wagen
immer wieder den Neuanfang für ihr Lokalradio.
Und - was fehlt hier noch?
Unterstützung, Verständnis, Förderung;
Anlaufstellen, Ausbildung, Experten;
kurz ein
Produktionszentrum,
das RPZ für Lokalradios.