Wenn ein Volk keine Filme hat, dann hat es auch fast keine
Träume, deshalb müssen wir – trotz aller Scham
– weitermachen, dürfen wir nicht aufhören, Bilder
zu machen und zu träumen.
Jenseits der schon zu Klischees geronnenen Bilder von Armut
und Gewalt ermöglichen Filme den tiefergehenden Blick auf
die Favela, als Modell neuer Formen des Zusammenlebens und
gesellschaftlicher Beziehungen, für vitale Kultur, die von
den Morros in die Stadt kommen und sich dort integrieren, Favela
als Ort neuer Formen des politischen Aktivismus via Musik und
Kultur. Die aufgeführten Filme und Themen sind Indikatoren
stilistischer Vielfalt und der neuen Probleme und Akteure, die in
diesen Räumen entstehen, die „neuen
Diskurssubjekte“: Samba-Tänzer und - Sänger,
Rapper, Vertreter von Funk-Veranstaltungen, für die Musik
eine politische Waffe ist.
Die mit Abstand häufigsten Schauplätze des
brasilianischen Films sind das Sertão und die
Favela.
Das Sertão ist eine extreme Kulisse, trocken, heiß, karg; es ist das dünn besiedelte Hinterland im Nordosten Brasiliens, aus dem ein Großteil der heutigen Favelados abstammt.Beide Szenarien sind ungeheuer bild- und symbolbehaftet, gleichzeitig sind sie jedoch auch reale Orte. Wegen der in diesen Räumen krasser gesellschaftlicher Grenzen herrschenden Armut und Ausweglosigkeit gelten das Sertão und die Favela als ‚Un-Orte’ Brasiliens. Zum modern-positivistischen, traumhaften Postkarten-Brasilien stellen sie das Gegenstück dar. Dass beide Settings bis heute nichts von ihrer Aktualität oder Popularität eingebüßt haben, liegt für die Filmkritikerin Lucia Nagib darin, dass soziale Probleme, Utopien und filmische Hoffnungen ungelöst beziehungsweise nach wie vor unerfüllt geblieben sind.
Es ist sicherlich der speziellen Örtlichkeit dieser Filme
geschuldet, dass von ihnen hauptsächlich
musikgetränkte, farbenkräftige Bilder in Erinnerung
bleiben und keine geschlossene Geschichte. Unübersichtlich
und verwinkelt wie die brasilianischen Favelas sind die
Räume, die in diesen häufig experimentellen und zum
Teil wild montierten Dokumentar- und Spielfilmen entstehen.
Disparate Bildfolgen, unzusammenhängende Szenen,
schräge Einstellungen und schrille Tonfolgen geben
Eindrücke von Lebensformen, die nicht durch Überblick
und Führung, wohl aber durch einen ungestümen
Lebenswillen gekennzeichnet sind. Durchkommen, durchkämpfen,
im Zweifelsfall durchschießen lauten die Devisen in den
wild wuchernden Wohnwaben... .