Die urbane Grundstruktur Brasiliens wurde von den Kolonisatoren diktiert. Ihr ausschließlich vom Überseehandel getragenes Interesse endete an der Küste mit der Entstehung von Hafenstädten.
Anfang des 20. Jahrhunderts war Rio zum Wirtschaftsstandpunkt gewachsen und wird als erste Stadt Opfer der Landflucht.
Die erste Welle, verursacht durch attraktivere Gehälter in der Stadt, lockte die Landbevölkerung aus Guanabara, deren Nachkommen heute 50 Prozent der Favelas ausmachen. Die Landflucht war so enorm, dass sich die Bevölkerung Rios im Jahre 1930 auf 2.380.000 verdoppelt hatte.
1940 vollzog sich die zweite Welle aus den angrenzenden
Bundesstaaten Espirito-Santo und Minas-Gerais. 1960 wurde die
Straße ‚Salvador de Bahia – Rio de
Janeiro’ gebaut - ein Aufruf gen Süden, dem Land der
Industrien und Arbeitsplätze - eine Maßnahme, womit
nicht nur die Küstengebiete im Norden, sondern auch die von
Dürre betroffenen westlicheren Staaten gelockt wurden.
43 Prozent der Industrie befinden sich in den Staaten Rio de Janeiro, Minas-Gerais und Espirito Santo.
Diese drei ersten Wellen sind typisch für die Landflucht, denn die Landbevölkerung verfügt über keinerlei Besitz.
Zwei Prozent der Bevölkerung besitzen 60 Prozent des Landes.
Da die Landbevölkerung von den Großgrundbesitzern
abhängig ist, die sie nur beschäftigen, falls
erforderlich, und dann auch nur für Kost und Logis, kann
sich diese Bevölkerungsschicht nicht emanzipieren -
außer sie wandert in die Stadt aus. Insbesondere dann, wenn
ihre Aussicht auf Arbeit in Dürrezeiten auf Null
geht.
In der Stadt liegen 64,7% der Arbeiter über dem Mindestlohn, auf dem Lande sind es nur 14,9 Prozent.Gespeist wurde das Bild vom himmlischen Süden vor allem durch die Industriellen und die eingewanderte Landbevölkerung selbst.
Diese außerordentliche Geburtenrate fiel bislang deswegen nicht ins Gewicht, weil gleichzeitig die Sterberate bei Säuglingen auf dem Land viel höher ist als in der Stadt.
Diese vier Wellen wurden zwar wahrgenommen, reagiert wurde aber nicht, sodass die Bevölkerung Rios auf eine unüberschaubare Zahl anwuchs. Bis heute war und ist dieses Problem nicht zu lösen.
Favela
These are highly consolidated residential self-construction on
invaded public and private land and without infrastructure. These
exist in large numbers all over Rio.
UN habitat
Favela ist ein unübersetzbares brasilianisches Wort. Man
könnte es einfach als Synonym für Armut und Elend
setzen, aber ein brasilianisches Wörterbuch der
portugiesischen Sprache definiert es folgendermaßen:
Bezeichnung eines Hügels in Rio de Janeiro, Zuflucht der
Armut, der Gaunerei, des Nichtstuns und des Streites, eine Art
„Cour de Miracles“ von Paris. Es bedeutet ein Gebiet
des sozialen Verfalls, der fehlenden Anpassung und der
Zersplitterung.
1987 Vorwort von Audálio Dantas zu Carolina
Maria de Jesus Tagebuch der Armut
Didier Drummond Architectes des favelas, Bordas, Paris 1981